kvt Kassenärztliche
Vereinigung Thüringen

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Interviews

„Kein guter Arzt muss befürchten, durch die KI ersetzt zu werden“

Quelle: Mitgliedermagazin kvt impuls 2/23 (30.06.2023)

Dr. Narges Ahmidi forscht am Fraunhofer Institut für Kognitive System zu Künstlicher Intelligenz in der Medizin. KVT Impuls hat mit ihr über Risiken und Potenziale gesprochen.

Frau Dr. Ahmidi, was macht für Sie Künstliche Intelligenz aus?

Künstliche Intelligenz ist für mich ein smarter Algorithmus, der Dinge sehr schnell zusammenfasst. KI ist sehr viel weniger abstrakt, als viele denken. Wir nutzen sie heute schon täglich: Die Textkorrektur auf Ihrem Handy wird mit ihr gesteuert. Wenn Sie mit einem Sprachassistenten sprechen, steckt KI dahinter, genauso, wenn eine Kamera Ihr Gesicht erfasst, um das Smartphone zu entsperren.


Um ChatGPT gibt es einen regelrechten Hype. Sehen Sie auch einen Nutzen für die Medizin?

Hinter ChatGPT steckt ein sogenanntes Large Language Model oder LLM, eine Technik, die sehr viele Texte analysiert und verarbeitet. Dies kann Ärztinnen und Ärzten definitiv helfen. Im 18. Jahrhundert hat die gesamte bekannte Medizin noch auf 600 Seiten gepasst. Heute werden allein auf der wissenschaftlichen Plattform Pubmed jährlich zwei Millionen Publikationen eingestellt. Kein einzelner Mensch kann die alle lesen. Nun stellen Sie sich vor, Sie haben da einen Freund, der all diese wissenschaftlichen Arbeiten innerhalb von Sekunden durchforsten kann. Und dieser spezielle Freund ist die KI.


Aber auch KI macht Fehler. Texte von ChatGPT stellen zum Teil Inhalte falsch dar. Wieso sollten wir uns darauf verlassen?

ChatGPT wurde für den allgemeinen Gebrauch programmiert, nicht um eine bestimmte Krebsart von einer anderen zu unterscheiden. Damit die KI für die Medizin besser wird, muss sie ganz spezifisch mit medizinischem Wissen trainiert werden. Google hat das schon gemacht. Deren Modell hat sogar Medizin-Examen in den USA bestanden. Eine interessante Studie hat jüngst die Johns Hopkins University veröffentlicht: Dabei stuften die Studienteilnehmer die Antworten auf Gesundheitsfragen von ChatGPT als mitfühlender ein als jene von Ärzten. KI kann durchaus in der Kommunikation mit Patienten helfen.

Stehen wir am Anfang vom Ende der Ära der Götter und Göttinnen in weiß?

Natürlich steigt mit der Künstlichen Intelligenz, wie auch schon mit der Verbreitung des Internets, die Transparenz der ärztlichen Arbeit. Schließlich können auch Patienten die KI nach dem Ursprung ihrer Symptome befragen. Aber kein guter Arzt muss befürchten, durch die KI ersetzt zu werden. Im Gegenteil: Ein guter Arzt weiß die neuen Potenziale für sich und vor allem zum Wohle seiner Patienten zu nutzen. Wir sollten Ärzte weder zu Göttern noch Superhelden stilisieren. Sie sind Menschen mit einer ganz besonderen, lebenswichtigen Expertise. Aber wir tun gut daran, nichts Übernatürliches von ihnen zu verlangen. Das galt auch schon vor dem Aufkommen künstlicher Intelligenz.

Sie leiten am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme eine Abteilung namens „Reasoned AI Decisions“. Wie vernünftig und verantwortlich ist KI?

Das kommt darauf an, wie vernünftig wir sie machen. KI allein trifft zwar keine medizinische Entscheidung. Doch mit ihrer Hilfe werden solche Entscheidungen abgeleitet. Das bringt natürlich eine ganze Reihe ethischer Fragen mit sich. Diese müssen beantwortet werden und dafür brauchen wir eine Regulierung.

 

So wie es mittlerweile auch der Schöpfer von ChatGPT, Sam Altman, fordert.

Im medizinischen Kontext gibt es seit jeher mit den Aufsichtsbehörden wie der Food and Drug Administration in den USA oder seinen Pendants in Deutschland und Europa einen gewissen Trichter, den neue Produkte, die die Versorgung verbessern sollen, passieren müssen. Auch Digitale Gesundheitsanwendungen müssen zertifiziert werden, bevor sie in Kliniken oder Praxen kommen. Das Vorgehen sollte auch für die KI im Gesundheitswesen angewendet werden.


Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte liegt darauf, zukünftige gesundheitliche Ereignisse von Patienten vorherzusagen. Wie soll das gehen?

Wenn ein Mensch von einer Krebserkrankung erfährt, heißt es oft: durch Zufall oder zu spät. Stellen Sie sich vor, Sie hätten unzählige Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten haben, in ihrem Gesundheitsstatus über Jahre verfolgt. Sie wüssten also wann sie kerngesund waren und wie sich ihre Werte entwickelt haben, bevor sie Krebs bekommen haben. Mit diesem Wissen von tausenden, Millionen anderer Krebskranker könnten Sie mithilfe von KI nun Ihren Patienten vergleichen. Im Endeffekt könnten wir womöglich anhand bestimmter Werte schneller erkennen, ob ein Mensch Krebs bekommt. Ärzte könnten schneller eingreifen. Statt einer Chemotherapie genügt vielleicht ein weniger starkes Medikament, um dem Patienten zu helfen.


Gibt es weitere Anwendungsmöglichkeiten?

Denken Sie an eine voll belegte Intensivstation, die einen neuen Patienten aufnehmen soll. Einen Patienten zu verlegen, ist eine kritische Entscheidung. Und wenn ja, welchen? KI könnte Vorhersagen über die Zustandsentwicklung anstellen und die Entscheidung unterstützen.


Google, Microsoft mit dem Milliardeninvestment in OpenAI („ChatGPT), Meta, Apple – die Vorreiter der KI entspringen milliardenschweren Konzernen. Wie können da kleine Unternehmen, wie es die Praxen sind, mithalten?

Um diese Art von Künstlicher Intelligenz – nämlich LLMs – zu trainieren, braucht es sehr große Rechenleistung der Computer, die nur wenige Unternehmen in der Welt besitzen. Eine solche eigene KI zu trainieren wird für Anwender wie z.B. Kliniken und Praxen auch in Zukunft kaum möglich sein. Aber sie werden die Software-Lösungen nutzen. Diesen Schritt zu gehen, ist gerade für kleine Unternehmen wie die Praxen schwieriger als für große Kliniken. Die Grundlage dafür ist jedoch ein umfassend digitalisiertes Gesundheitssystem. Bevor wir Künstliche Intelligenz flächendeckend in Deutschlands Praxen sehen, werden wohl noch einige Jahre vergehen.