kvt Kassenärztliche
Vereinigung Thüringen

Ärzte & Psychotherapeuten

An dieser Stelle finden Sie Erläuterungen, Hintergründe und Zusammenfassungen häufig nachgefragter Themen der Öffentlichkeit sowie Interviews.

Vor allem Vertretern aus dem Bereich Journalismus soll diese Seite eine Recherchegrundlage bieten.

Interviews

Von der Uni in die Praxis: Ärztescout nun auch in Erfurt

Quelle: Mitgliedermagazin kvt impuls 4/24 (11.12.2024)

Im August 2024 wurde das Projekt „Ärztescout Thüringen“ auf die HMU Health and Medical University Erfurt ausgeweitet. Julia Mayer hat dort die Rolle der Ärztescoutin übernommen und unterstützt nun Medizinstudierende dabei, sich frühzeitig für eine Tätigkeit in der ambulanten Versorgung zu begeistern. Gemeinsam mit Caroline Scheide, die das Projekt in Jena maßgeblich mitgeprägt hat, sprechen sie über die Herausforderung, die Studierenden für die ambulante Versorgung zu gewinnen, und was das Projekt bisher erreicht hat.

Julia, Sie haben die neue Stelle als Ärztescoutin in Erfurt übernommen. Was genau umfasst Ihre Arbeit?

Julia:
„Als Ärztescoutin berate ich Medizinstudierende zu Fördermöglichkeiten und Stipendien und helfe ihnen, den Weg in die ambulante Versorgung zu finden. Meine Aufgaben sind sehr vielfältig: Ich plane Veranstaltungen, betreue Social-Media-Kanäle und arbeite eng mit der KV Thüringen und verschiedenen Institutionen zusammen. Zusätzlich bin ich auf Messen unterwegs und treffe mich mit Gemeinden oder Praxen, um die ambulante Versorgung zu thematisieren und den Studierenden Perspektiven aufzuzeigen.“

Caroline, Sie haben das Projekt in Jena seit 2019 begleitet. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Caroline:
„Ähnlich wie Julia bin ich die zentrale Ansprechpartnerin für Studierende, die sich für die ambulante Versorgung interessieren. Meine Aufgaben umfassen unter anderem die Beratung zu Fördermöglichkeiten und den verschiedenen Tätigkeitsformen in der ambulanten Versorgung. Ich pflege ein überregional tätiges Netzwerk, organisiere Veranstaltungen wie Praxistouren und arbeite daran, die ambulante Versorgung stärker in der Wahrnehmung der Studierenden zu verankern. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist auch die Pflege des Webauftritts und die Erstellung von Werbematerialien.“

Julia, was ist das Besondere an den Veranstaltungen, die Sie und Caroline organisieren?

Julia:
„Der entscheidende Punkt ist, dass wir den Studierenden direkte Einblicke in die Praxis ermöglichen. Bei den Praxistouren besuchen Studierende nicht nur Praxen, sondern lernen auch die Regionen kennen, in denen sie später arbeiten könnten – wie beispielsweise Sonneberg oder den Ilm-Kreis. Dabei geht es nicht nur um den Berufsalltag, sondern auch darum, mögliche Arbeits- und Lebensmittelpunkte zu entdecken.“

Caroline:
„Absolut. Wir schaffen konkrete Gelegenheiten, bei denen Studierende mit Ärztinnen und Ärzten ins Gespräch kommen, ihre Fragen stellen und sich ein realistisches Bild von der Arbeit in der ambulanten Versorgung machen können. Besonders wichtig ist uns dabei die direkte, persönliche Begegnung. Nur so können wir eventuelle Vorurteile abbauen und zeigen, wie vielseitig der Berufsalltag in der ambulanten Versorgung wirklich ist.“

Haben sich die Themen, die Studierende ansprechen, zwischen Jena und Erfurt verändert?

Julia:
„In Erfurt ist das Interesse an Fördermöglichkeiten sehr hoch, was vermutlich mit den vielen neuen Stipendienangeboten zusammenhängt. Generell fragen die Studierenden aber überall nach den gleichen Themen: Sie möchten wissen, wie sie in die ambulante Versorgung einsteigen können und welche finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten es gibt.“

Caroline:
„Das Thema Förderung ist auch in Jena immer wieder ein großes Anliegen. Aber auch die Rahmenbedingungen der ambulanten Versorgung und der Übergang vom Studium in die Praxis sind Themen, die immer wieder angesprochen werden. Studierende sind oft unsicher, wie der Einstieg in die ambulante Versorgung konkret aussieht.“

Warum ist es so wichtig, Medizinstudierende frühzeitig für die ambulante ärztliche Tätigkeit zu sensibilisieren?

Julia:
„Im Studium sind es vor allem die Kliniken, die die größte Aufmerksamkeit bekommen. Doch die ambulante Versorgung kommt oft zu kurz. Durch Praktika und Veranstaltungen wie unsere Praxistouren können wir den Studierenden ein realistisches Bild vermitteln, das sie für eine spätere Tätigkeit in der ambulanten Versorgung motiviert.“

Caroline:
„Absolut. Medizinstudierende werden von vielen Seiten umworben, vor allem von Kliniken. Da ist es umso wichtiger, dass wir ihnen die Vielfalt und die Vorteile der ambulanten Versorgung aufzeigen. Nur wenn sie die Unterschiede verstehen, können sie eine informierte Entscheidung für ihre berufliche Zukunft treffen.“

Was sind die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, Nachwuchs für die ambulante Versorgung zu gewinnen?

Julia:
„Eine der größten Herausforderungen ist sicherlich, dass Studierende aufgrund ihrer Ausbildung oft eher an Kliniken denken. Wir müssen ihnen die ambulante Versorgung als gleichwertige Alternative näherbringen und ihnen zeigen, dass sie dort genauso vielfältige und spannende Aufgaben erwarten.“

Caroline:
„Neben der Frage, welche Tätigkeit in der ambulanten Versorgung für sie in Frage kommt, sind viele Studierende unsicher, was die unternehmerischen Risiken angeht. Hier ist es unsere Aufgabe, die Vorteile und Möglichkeiten aufzuzeigen und den Austausch mit erfahrenen Ärztinnen und Ärzten zu fördern.“

Die Erweiterung des Projekts auf die HMU Erfurt ist ein wichtiger Schritt. Was möchten Sie in den nächsten fünf Jahren erreichen?

Julia:
„Wir möchten unser Angebot weiter ausbauen und intensiver in die Lehrveranstaltungen der Hochschule integriert werden. Unser Ziel ist es, möglichst viele Studierende zu erreichen und ihnen zu zeigen, wie attraktiv eine Karriere in der ambulanten Versorgung sein kann.“

Caroline:
„Es ist großartig, dass wir das Projekt nun auch in Erfurt etablieren können. Wir hoffen, dass die Studierenden hier genauso begeistert werden wie in Jena. In den nächsten Jahren möchten wir das Netzwerk weiter ausbauen und die Studierenden noch gezielter auf die Praxis vorbereiten.“

Was motiviert Sie persönlich in dieser Funktion?

Julia:
„Es ist ein tolles Gefühl, wenn Studierende nach einer Veranstaltung weiterhin interessiert sind und sogar Hospitationen absolvieren oder erneut teilnehmen. Wenn sie den Mehrwert erkennen und sich für eine Tätigkeit in der ambulanten Versorgung entscheiden, dann wissen wir, dass wir einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Gesundheitsversorgung leisten.“

Caroline:
„Für mich ist es besonders erfüllend, wenn junge Medizinerinnen und Mediziner den Schritt in die ambulante Versorgung wagen. Wir können so einen direkten Einfluss auf die Sicherung der Gesundheitsversorgung in Thüringen nehmen und langfristig für eine stabile ärztliche Versorgung sorgen.“

Abschließend, was möchten Sie Medizinstudierenden und erfahrenen Ärztinnen und Ärzten über die Perspektiven in Thüringen mit auf den Weg geben?

Julia:
„Thüringen bietet viele Möglichkeiten, nicht nur beruflich, sondern auch hinsichtlich Lebensqualität und regionaler Unterstützung. Gemeinden und Landkreise engagieren sich stark und sind offen für Fragen und Unterstützung. Es lohnt sich, sich mit den Chancen in der ambulanten Versorgung auseinanderzusetzen – die Möglichkeiten sind vielfältig.“

Caroline:
„Thüringen ist ein Ort, an dem nicht nur der Beruf, sondern auch das Leben einen hohen Stellenwert hat. Hier arbeiten alle Akteure des Gesundheitswesens eng zusammen, um eine langfristig funktionierende Versorgung zu sichern. Es ist eine Region, die viel zu bieten hat – sowohl für angehende als auch für erfahrene Ärztinnen und Ärzte.“


Das Projekt „Ärztescout“ trägt maßgeblich dazu bei, die zukünftigen Ärztinnen und Ärzte für die ambulante Versorgung zu begeistern und sie frühzeitig für die Herausforderungen und Chancen in Thüringen zu sensibilisieren. Die persönlichen Einblicke, die die Studierenden erhalten, machen den Unterschied – nicht nur für ihre berufliche Entscheidung, sondern auch für die Zukunft der medizinischen Versorgung im Freistaat.

„Kein guter Arzt muss befürchten, durch die KI ersetzt zu werden“

Quelle: Mitgliedermagazin kvt impuls 2/23 (30.06.2023)

Dr. Narges Ahmidi forscht am Fraunhofer Institut für Kognitive System zu Künstlicher Intelligenz in der Medizin. KVT Impuls hat mit ihr über Risiken und Potenziale gesprochen.

Frau Dr. Ahmidi, was macht für Sie Künstliche Intelligenz aus?

Künstliche Intelligenz ist für mich ein smarter Algorithmus, der Dinge sehr schnell zusammenfasst. KI ist sehr viel weniger abstrakt, als viele denken. Wir nutzen sie heute schon täglich: Die Textkorrektur auf Ihrem Handy wird mit ihr gesteuert. Wenn Sie mit einem Sprachassistenten sprechen, steckt KI dahinter, genauso, wenn eine Kamera Ihr Gesicht erfasst, um das Smartphone zu entsperren.


Um ChatGPT gibt es einen regelrechten Hype. Sehen Sie auch einen Nutzen für die Medizin?

Hinter ChatGPT steckt ein sogenanntes Large Language Model oder LLM, eine Technik, die sehr viele Texte analysiert und verarbeitet. Dies kann Ärztinnen und Ärzten definitiv helfen. Im 18. Jahrhundert hat die gesamte bekannte Medizin noch auf 600 Seiten gepasst. Heute werden allein auf der wissenschaftlichen Plattform Pubmed jährlich zwei Millionen Publikationen eingestellt. Kein einzelner Mensch kann die alle lesen. Nun stellen Sie sich vor, Sie haben da einen Freund, der all diese wissenschaftlichen Arbeiten innerhalb von Sekunden durchforsten kann. Und dieser spezielle Freund ist die KI.


Aber auch KI macht Fehler. Texte von ChatGPT stellen zum Teil Inhalte falsch dar. Wieso sollten wir uns darauf verlassen?

ChatGPT wurde für den allgemeinen Gebrauch programmiert, nicht um eine bestimmte Krebsart von einer anderen zu unterscheiden. Damit die KI für die Medizin besser wird, muss sie ganz spezifisch mit medizinischem Wissen trainiert werden. Google hat das schon gemacht. Deren Modell hat sogar Medizin-Examen in den USA bestanden. Eine interessante Studie hat jüngst die Johns Hopkins University veröffentlicht: Dabei stuften die Studienteilnehmer die Antworten auf Gesundheitsfragen von ChatGPT als mitfühlender ein als jene von Ärzten. KI kann durchaus in der Kommunikation mit Patienten helfen.

Stehen wir am Anfang vom Ende der Ära der Götter und Göttinnen in weiß?

Natürlich steigt mit der Künstlichen Intelligenz, wie auch schon mit der Verbreitung des Internets, die Transparenz der ärztlichen Arbeit. Schließlich können auch Patienten die KI nach dem Ursprung ihrer Symptome befragen. Aber kein guter Arzt muss befürchten, durch die KI ersetzt zu werden. Im Gegenteil: Ein guter Arzt weiß die neuen Potenziale für sich und vor allem zum Wohle seiner Patienten zu nutzen. Wir sollten Ärzte weder zu Göttern noch Superhelden stilisieren. Sie sind Menschen mit einer ganz besonderen, lebenswichtigen Expertise. Aber wir tun gut daran, nichts Übernatürliches von ihnen zu verlangen. Das galt auch schon vor dem Aufkommen künstlicher Intelligenz.

Sie leiten am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme eine Abteilung namens „Reasoned AI Decisions“. Wie vernünftig und verantwortlich ist KI?

Das kommt darauf an, wie vernünftig wir sie machen. KI allein trifft zwar keine medizinische Entscheidung. Doch mit ihrer Hilfe werden solche Entscheidungen abgeleitet. Das bringt natürlich eine ganze Reihe ethischer Fragen mit sich. Diese müssen beantwortet werden und dafür brauchen wir eine Regulierung.

 

So wie es mittlerweile auch der Schöpfer von ChatGPT, Sam Altman, fordert.

Im medizinischen Kontext gibt es seit jeher mit den Aufsichtsbehörden wie der Food and Drug Administration in den USA oder seinen Pendants in Deutschland und Europa einen gewissen Trichter, den neue Produkte, die die Versorgung verbessern sollen, passieren müssen. Auch Digitale Gesundheitsanwendungen müssen zertifiziert werden, bevor sie in Kliniken oder Praxen kommen. Das Vorgehen sollte auch für die KI im Gesundheitswesen angewendet werden.


Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte liegt darauf, zukünftige gesundheitliche Ereignisse von Patienten vorherzusagen. Wie soll das gehen?

Wenn ein Mensch von einer Krebserkrankung erfährt, heißt es oft: durch Zufall oder zu spät. Stellen Sie sich vor, Sie hätten unzählige Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten haben, in ihrem Gesundheitsstatus über Jahre verfolgt. Sie wüssten also wann sie kerngesund waren und wie sich ihre Werte entwickelt haben, bevor sie Krebs bekommen haben. Mit diesem Wissen von tausenden, Millionen anderer Krebskranker könnten Sie mithilfe von KI nun Ihren Patienten vergleichen. Im Endeffekt könnten wir womöglich anhand bestimmter Werte schneller erkennen, ob ein Mensch Krebs bekommt. Ärzte könnten schneller eingreifen. Statt einer Chemotherapie genügt vielleicht ein weniger starkes Medikament, um dem Patienten zu helfen.


Gibt es weitere Anwendungsmöglichkeiten?

Denken Sie an eine voll belegte Intensivstation, die einen neuen Patienten aufnehmen soll. Einen Patienten zu verlegen, ist eine kritische Entscheidung. Und wenn ja, welchen? KI könnte Vorhersagen über die Zustandsentwicklung anstellen und die Entscheidung unterstützen.


Google, Microsoft mit dem Milliardeninvestment in OpenAI („ChatGPT), Meta, Apple – die Vorreiter der KI entspringen milliardenschweren Konzernen. Wie können da kleine Unternehmen, wie es die Praxen sind, mithalten?

Um diese Art von Künstlicher Intelligenz – nämlich LLMs – zu trainieren, braucht es sehr große Rechenleistung der Computer, die nur wenige Unternehmen in der Welt besitzen. Eine solche eigene KI zu trainieren wird für Anwender wie z.B. Kliniken und Praxen auch in Zukunft kaum möglich sein. Aber sie werden die Software-Lösungen nutzen. Diesen Schritt zu gehen, ist gerade für kleine Unternehmen wie die Praxen schwieriger als für große Kliniken. Die Grundlage dafür ist jedoch ein umfassend digitalisiertes Gesundheitssystem. Bevor wir Künstliche Intelligenz flächendeckend in Deutschlands Praxen sehen, werden wohl noch einige Jahre vergehen.